Auf zu neuen Ufern (2019)

Habe ich einmal über das Scheitern meines Unternehmens nachgedacht? Bestimmt, aber so richtig einkalkuliert habe ich diese Möglich nie. Ich habe die letzten 4,5 Jahre über aus einer waghalsigen Idee ein Unternehmen gegründet und es geschafft, ein neues Produkt zu entwickeln. Ich war Chef eines Unternehmens mit zum Schluss 22 Mitarbeitern. Als Gründer war ich nicht nur in Kaiserslautern, sondern in Rheinland-Pfalz bekannt. Unser stellv. Ministerpräsident Volker Wissing hat mich in vielen seiner Reden als positives Beispiel für einen Gründer erwähnt. Ich wurde im März dieses Jahres von unser Landwirtschaftsministerien Julia Klöckner zum politischen Abendessen in den Bundestag eingeladen. Für Anfang Oktober wurde ich gebeten, mich der Wirtschaftsdelegation in die deutsche Botschaft nach Paris anzuschließen, um dort die deutsche Einheit mit dem Botschafter zu zelebrieren.

Ich entschied, wer in meinem Unternehmen eingestellt wird, erstellte Budget- und Finanzpläne und verteidigte diese vor meinen Investoren, ich verhandelte mit Banken über Kredite, ich plante die Produktentwicklung, führte die Teams, optimierte die Organisation in meinem Unternehmen bei Bedarf, ich verhandelte mit Zulieferern, löste technische Probleme und diskutierte, wie die Icons in unserem Webapplikationen aussehen sollten. So in etwas könnte man meine erste Stunde im Büro am Morgen zusammenfassen, bevor ich mir meinen ersten Kaffee holen ging. Ich stand jeden Morgen auf mit einem klaren Ziel vor Augen. Ich wusste, was ich wollte und lebte meinen Traum.

Eine dunkle Bedrohung

Es war das, was ich unbedingt tun wollte. Mein eigenes Unternehmen gründen und leiten. Leider entpuppte sich mein Traum als Alptraum. Natürlich habe ich auch Fehler gemacht – ich hatte zu wenig relevante Erfahrung in dem, was ich da tat. Dennoch würde mir ein gewisses Talent nicht absprechen. Jedoch habe ich einige systematische Fehler in meiner Gründung begangen, die letztlich zu dem Scheitern der Unternehmung führten.

Ich hatte kein eigenes Netzwerk mit Zugang zu Investoren. Frühphaseninvestment in Höhe einer halben Million habe ich mehrfach über regionale Kontakte akquirieren können. Für die eigentlich für genau jetzt geplante Wachstumsfinanzierung benötigte ich jedoch eine siebenstellige Summe an Kapital, wofür nur die größeren Fonds in Frage kommen. Für diese war ich jedoch schlicht noch zu jung und unerfahren, als dass ich hier direkt eine Chance gehabt hätte. Alles andere hätte mehr Zeit im Aufbau an Kontakten, Expertise und Erfahrung benötigt, die ich leider nicht mehr hatte.

Darüber hinaus – und das war das größte Problem – hatte ich zu wenig eigene Expertise von meinem Markt und den Kunden. Ich bin Stadtmensch und Informatiker. Ich konnte das Produkt entwickeln, das Unternehmen aufbauen und die Mitarbeiter führen. Für den so essenziellen Kundenkontakt war ich jedoch auf die Meinung meines Vertriebschefs und der Partner angewiesen, die ich um mich versammelt hatte.

An der Stelle setzt das allseits zitierte unternehmerische Risiko an, welches man als Gründer eingehen musst. Dazu sagte Henry Ford einmal: „Wenn ich meine Kunden gefragt hätte, was sie sich wünschen, hätten sie mir ein Pferd mit mehr PS geantwortet“. Deine Kunden können dir nur in den seltensten Fällen sagen, was sie wirklich brauchen. Wenn dir jedoch viele sagen, dass sie deine Idee für nicht realistisch halten, weil das Produkt nicht funktionieren wird… musst man als Gründer entscheiden, ob sie recht haben oder ob man es ihnen beweisen kann, dass sie sich irren. Ich habe mich für letzteres entschieden – leider und zum Glück. Leider, weil es nicht funktioniert hat und zum Glück, weil ich sonst nicht stehen würde, wo ich momentan stehe.

Ich hatte zwar mit meinem Unternehmen InnoCow leider keinen ultimativen Erfolg erzielt. Aber aus Fehlern kann man lernen und diese Chance habe ich als Mensch genutzt. Sieg oder Niederlage, Erfolg oder Misserfolg – das sind in meinen Augen alles Seiten der gleichen Medaille: Handeln. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Ich habe viel gewagt, viel ausprobiert und bin dabei über mich hinausgewachsen. Obwohl wir als Unternehmen nicht so erfolgreich waren, wie wir es uns letztlich alle gewünscht haben.

Der Markt schlägt zurück

Im Leben heißt es immer: Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt. Dies traf auch auf den Juni 2019 zu, welcher anders verlief, als ich es mir vorgestellt habe.

Die negativen Meldungen, die mich vom Markt her erreichten, ließen das dann schlussendlich das Unternehmen von innen heraus kollabieren. Es kamen hier viele, zu viele Dinge auf einmal zusammen. Sei es eine fehlerhafte Produktionscharge an Leiterplatinen, die uns 1-2 Monate Verzögerung eingebracht hätte. Zeit, die wir nicht gehabt hätten, da wir den Folgeauftrag von unserem ersten Großkunden bedienen mussten, um am Markt weiter agieren zu können. Jedoch hat uns auch der Wettbewerb härter und schneller getroffen, als wir bereits damit gerechnet haben. So wurden wir in einigen, strategischen Projekten systematisch um mehr als 50 Prozent im bereits reduzierten Verkaufspreis unterboten. Es wurden Preise aufgerufen, zu denen wir unmöglich hätten unsere Selbstkosten decken können – von einer Marge im Projekt ganz zu schweigen. Es spielt dann auch irgendwann keine Rolle mehr, ob dein Produkt besser ist oder nicht. Ab einem gewissen Punkt ist das Preis-Leistungs-Verhältnis aus Kundensicht einfach nicht mehr wegzudiskutieren.

Ein Konkurrent wurde einige Monate zu vor von einem amerikanischen Pharmakonzern aufgekauft und agiert nun am Markt mit neuem Geschäftsmodell. Anstatt sich auf den Produktverkauf zu fokussieren, gingen sie in dieser neuen Symbiose nun über, die Hardware der Monitoringsysteme „kostengünstig“ in den Markt zu bringen. Teilweise wurden hier auch subventionierte „Geschenke“ geschnürt. Langfristig verdienen sie über den anschließenden Medikamentenverkauf genug, um die Hardware in wenigen Jahren amortisiert zu haben. Darüber hinaus haben selbst Branchengrößen unter unseren Konkurrenten mit Vorsicht reagiert, da durch den Einstieg der Pharmakonzerne in den Markt ein quasi Geldcheat aktiviert wurde. Selbst die vorherigen Goliaths agierten nun mit Vorsicht, um nicht zu David zu werden.

Das letzte Meeting

Was soll man als Startup mit bestenfalls überschaubarer Liquidität dagegen unternehmen? Dies diskutierten wir sehr aktiv im Gesellschafterkreis über Stunden und Tage hinweg. Natürlich sind viele Aspekte davon „managebar“, angefangen von der Fertigung bis hin zur Preispolitik. Am Ende des Tages kostet aber alles Zeit und Geld, sprich Geld. Geld zu organisieren, kostet aber wiederum Zeit, wofür uns aber nicht mehr genug Liquidität zur Verfügung stand. Jedenfalls nicht, wenn wir auf die neue Marktsituation – in welcher Form auch immer – hätten reagieren wollen.

In der letzten Konsequenz musste ich auf Nachfrage meiner Gesellschafter und Investoren eingestehen, dass ich unter den Voraussetzungen und Möglichkeiten auf der einen sowie den veränderten Marktgegebenheiten auf der anderen Seite der Unternehmung nur noch geringe Aussichten auf Erfolg attestieren kann. Ich konnte schlichtweg nicht alle Probleme gleichzeitig lösen, so gern ich es auch getan habe. Jedoch musste ich objektiv bleiben und mit Verstand urteilen. Dieser sagte mir leider: Du kannst das Ende nicht mehr abwenden.

So blieb mir nichts anderes über, als am Nachmittag des 17. Juni mein gesamtes Team zu versammeln. Ich musste ihnen leider mitteilen, dass das Unternehmen bald Geschichte ist, wir den Geschäftsbetritt einstellen und sie ab morgen von der Arbeit freigestellt sind. Dies war zweifelsfrei der schrecklichste Moment in meinem bisherigen Leben.

Den 19. Juni 2019 verbrachte ich dann feierlich auf dem Amtsgericht und füllte den Insolvenzantrag aus. Ich habe es immer als Running Gag verkauft, dass mit 30 das Leben bergab geht. Wie sehr ich damit recht hatte, hat mich dann aber selbst überrascht.

Die Rache des Alltags

Ich hätte eigentlich erkennen sollen, dass das gesamte Vorhaben für mich und ein kleines Unternehmen mit den finanziellen Ressourcen viel zu groß und komplex ist, um Erfolg damit haben zu können. Der Markt ist viel zu komplex, die Kunden schwierig in der Ansprache, die Konkurrenz zu stark und der Vertrieb sehr undurchsichtig strukturiert.  Leider war ich gefangen, gefangen in meinem eigenen Traum. Wer gibt diesen denn freiwillig so einfach auf? Manchmal muss man kämpfen, um Erfolg zu haben oder das Scheitern noch abzuwenden. Manchmal gibt der Klügere aber auch nach.

Ich war Gründer eines Unternehmens, stets im Mittelpunkt und hatte einen beruflichen Alltag, indem die Arbeitslast eines Normalsterblichen innerhalb meiner Kaffeepause bewältige. Ich hatte immer mehr Probleme auf dem Schreibtisch, als ich eigentlich handeln konnte. Es gab immer etwas zu tun, zu verbessern und Ruhe hattest du nie.

Plötzlich hatte ich von einem Tag auf den anderen nichts mehr davon. Ich saß zuhause und dreht Däumchen. Um es auf den Punkt zu bringen: Mein Leben ist mit einem Schlag langweilig geworden. Leider gab es keine Spannung mehr, nichts zu tun, keine Aufregung, kein Adrenalin. Noch viel schlimmer wiegt jedoch, dass vorher immer im Mittelpunkt und unter Strom stand, wo jetzt einfach nichts mehr davon existiert. So wie ein Schauspieler die große Bühne und das Rampenlicht bracht, so brachte ich auch meine Version der Bühne und des Rampenlichts.

Eine neue Hoffnung

Ich brachte aber in erster Linie einen neuen Job und damit eine neue Herausforderung. Also begann ich Anfang Juli als erstes, meine Unterlagen zu aktualisieren. Ich hatte mich das letzte Mal 2014 für den Software Campus beworben und seit dem meinen Lebenslauf nicht wieder angefasst. Ich fang jedoch mit meiner Website an und brachte sie auf den neusten, inhaltlichen Stand. Meinen Lebenslauf musste ich jedoch auch neu schreiben.

Mir ist klar, dass ich nicht wieder als Geschäftsführer einsteigen kann. Mir fehlten schlicht das Wissen und die Erfahrung dafür. Aber ich kann auch nicht als Softwareentwickler ganz unten in der Hierarchie einsteigen. Dann hätte ich mir nicht nur meine Zeit in der Promotion sparen können, sondern auch meine Gründung wäre umsonst gewesen. Ich hätte den Job auch gleich nach dem Studium antreten können. Das wäre ein so großer Rückschritt gewesen, dass ich die Karriere, die ich wollte, damit hätte schlicht vergessen können.

Warum tue ich gerade, was ich tue? Einfach nur für den Augenblick? Ich brauche eine tägliche Prise Nervenkitzel. Ich brauche Probleme, die ich lösen kann. Situation, die ich meistern muss. Menschen, für die ich Verantwortung übernehmen kann.

Die Rückkehr zu neuen, alten Zielen

Sebastian Baumbach Syracom 2019
Sebastian Baumbach Syracom 2019

Schlussendlich nahm ich einen Job als Consultant bei der syracom AG in Wiesbaden an. Das Unternehmen hat einen Fokus auf Prozess- und IT-Beratung mit Fokus auf Banken und Finanzdienstleister im Großraum Frankfurt am Main. Ich war hier als Leading Consultant für Software- und Systemarchitektur eingestellt und in den Rollen als technischer Projektleiter sowie Architekt tätig. Damit agiere ich (wieder) in einem Umfeld, in dem ich meinen Wünschen nach Gestaltung vollends nachkommen kann. Technisch bewegte ich mich wieder ganz vorne und kann hier viele neue Ansätze in einem hochkomplexen Umfeld anwenden. Persönlich konnte ich meinen Horizont ebenfalls in den darauffolgenden Jahren stark erweitern, da ich in einem industriellen Umfeld mit Großkunden und -Projekten vieles dazuglernt habe. So schloss sich der Kreis und ich konnte das turbulente Jahr 2019 mit einem Lächeln ausklingen lassen.

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